In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Stufen beschrieben und begründet. Dabei wird auch eine Auswahl an zentral erscheinenden Deeskalationstechniken und -strategien beschrieben, die jeweils helfen sollen, die entsprechende Stufen zu erreichen.
Beispiele finden Sie hier: Beispielanalyse 1, Beispielanalyse 2
Stufe „Sicherheit“
Zentrales Ziel des Deeskalierens ist es, dass alle Beteiligten, also Polizei wie auch Bürger, ohne physischen wie auch psychischen Schaden den Einsatz überstehen. Auch wenn dies nicht immer möglich sein wird, ist es doch angestrebt. Deshalb ist die Sicherheit von höchster Priorität und Grundlage für weitere Deeskalation. Für die Sicherheit von Polizeibeamten sorgen Techniken der Eigensicherung. Die Eigensicherung startet aber nicht erst, wenn man auf die Person trifft, gegen die sich der Einsatz richtet, sondern bereits vor dem Kontakt mit dieser. Hier sind u. a Absprachen mit dem Kollegen, die mentale Vorbereitung, das einsatzbereite Führen von Einsatzmitteln und eine aufmerksame Annäherung grundlegend für den Verlauf der Interaktion.
Neben der Sicherheit der Einsatzkräfte ist aber auch die Sicherheit des Bürgers zu bedenken. Auch diesem wird es schwerfallen, sich auf ein Gespräch zu konzentrieren oder einzulassen, wenn er sich in Gefahr wähnt. Mitunter werden die Sicherheit des Polizisten und die Sicherheit des Bürgers sich gegenläufig beeinflussen: Wenn der eine eine höhere Sicherheit hat, empfindet der andere diese für sich als niedriger. Im Falle einer solchen Abhängigkeit muss ein für beide akzeptabler Kompromiss gefunden werden.
Beim Kontakt mit der Person, die der Grund für den Einsatz ist, muss die Situation „gescannt“ werden, das heißt es wird ein erster Überblick über die Lage eingeholt, der vor allem der Einschätzung der Sicherheit und dem Treffen von Eigensicherungsmaßnahmen gilt. Hierbei wird auch abgeglichen, ob die bei der Auftragserteilung erhaltenen Informationen tatsächlich zutreffen und in wie weit die zuvor getroffene Lageeinschätzung zu modifizieren ist. Die Eigensicherung wird hergestellt durch das Beobachten der Person und die visuelle Kontrolle ihrer Hände. Dabei ist eine geeignete Position zu wählen, das Nutzen von Deckungsmöglichkeiten zu erwägen und eine adäquate Distanz zu halten.
Wenn mit diesen grundlegenden Techniken der Eigensicherung eine ausreichende Sicherheit für beide Interaktionspartner hergestellt ist, ist die Stufe „Sicherheit“ erreicht und der Polizeibeamte kann sein Handeln auf das Erreichen der nächsten Stufe ausrichten. Sieht der Polizeibeamte im weiteren Verlauf der Interaktion die Sicherheit nicht mehr als ausreichend gegeben an, so muss erst durch Maßnahmen der Eigensicherung wieder die Stufe „Sicherheit“ erreicht werden, bevor die nachfolgenden Stufen als Ziel angestrebt werden.
Stufe „Beziehung“
Die Basis für erfolgreiches Kommunizieren und eine Konfliktlösungen ist eine passende Beziehung zwischen den Interaktionspartnern. Diese sehen sowohl Kommunikationstheorien wie auch die Modelle für polizeiliche Verhandler als fundamental an. Grundlegende Techniken sind hier der respektvolle Umgang sowie Freundlichkeit und Höflichkeit. Auch empathisch die Bedürfnisse und Probleme des anderen zu erfragen und als wichtig anzuerkennen, auf Fragen des Gegenübers einzugehen und zuzuhören wirkt deeskalierend. Damit ist Empathie zu zeigen eine wesentliche Deeskalationstechnik. In der Taktik der persönlichen Verbundenheit wird eine kommunikative Beziehung durch Aufzeigen von Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten der Interaktionspartner aufgebaut. Unter Umständen können auch gemeinsame Ziele und Interessen ausgetauscht werden, insbesondere auch für den aktuellen Einsatz. Dabei kann empathisches Verhalten diese Beziehung stärken.
Stufe „Beruhigung“
In polizeilichen Einsätzen, in denen Gewalt eine Rolle spielt, sind alle Beteiligten oft aufgeregt und sehr emotional. Dies gilt für beide Seiten der Interaktion, also Bürger und auch Polizei. Der Polizist kann z.B. angespannt sein wegen der Unklarheit der Lage und der Gefahr eines Angriffes. Das Opfer von Gewalt empfindet hohen Stress und ist verängstigt wegen der Gewalterfahrung. Der Gewalttäter bzw. die Person, wegen der die Polizei gerufen wurde, ist z.B. wütend auf das Opfer oder ängstlich wegen der Konsequenzen seiner bzw. ihrer Tat. Oder es handelt sich um eine aufgebrachte Person, die durch ihre Agitiertheit andere irritiert und ängstigt, weshalb die Polizei gerufen wird. Damit befinden sich die Interaktionspartner auf einem erhöhten Stressniveau. Ein erhöhtes Stressniveau kann dann die Leistungsfähigkeit und das Handeln beinträchtigen. Um dies auszuschließen und um weniger emotional und eher rational zu agieren, ist es notwendig, alle Beteiligten zu beruhigen und den Stress zu kontrollieren, was dann als Basis für Verhandlungen dienen kann. Wichtig ist einerseits die Beruhigung dieser Personen wie auch andererseits die eigene Stress- bzw. Emotionsregulation des Polizeibeamten. Beruhigung im Sinne der Kontrolle und Reduzierung des Stresslevels ist ein wesentliches Deeskalationsziel. Techniken zur Kontrolle des eigenen Stressniveaus während einer Hochstressphase können zum Beispiel Atemtechniken und die positive Selbstinstruktion sein. Um andere zu beruhigen, reicht es nicht aus und es kann sogar kontraproduktiv sein, diesen das zu sagen. Aussagen wie „Jetzt beruhigen Sie sich doch mal!“ und „Seien sie doch vernünftig!“ senken nicht die Aufregung, sondern steigern diese mitunter. Wichtig erscheint zunächst, dass die Einsatzkraft selbst Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, was aber nicht mit Gleichgültigkeit und Überheblichkeit verwechselt werden darf. Umgekehrt darf der Polizeibeamte keine Anzeichen von hohem Stress zeigen, weil dies eher ansteckend und somit stressfördernd wirkt. Wichtig ist es auch, sich Zeit zu nehmen und der Person Zeit zu geben, sich zu beruhigen oder auch Entscheidungen zu treffen (taktisches Zeitmanagement), denn den Zeitdruck zu reduzieren vermindert Stress. Somit dienen Geduld und Gelassenheit sowohl der eigenen wie auch der Stressregulation des Gegenübers und stellt eine weitere sehr wichtige Deeskalationstechnik dar.
Stufe „Lageklärung“
Nachdem die Situation relativ sicher ist, eine Beziehung für das Miteinanderagieren hergestellt wurde und die Aufregung und der Stress aller beteiligten Personen gesenkt wurden, kann angefangen werden, am Konflikt selbst zu arbeiten. Dafür ist es zunächst notwendig, Informationen zu sammeln, um zu verstehen, welche Situation vorliegt, was passiert ist, wer in welcher Rolle beteiligt ist und was zu tun ist. Zentrale Technik zur Informationsgewinnung sind das Fragenstellen und (aktive) Zuhören. Diese helfen nicht nur dabei, die Lage zu klären, sondern wirken deeskalierend und es festigt die Beziehung. Außerdem können hier auch Informationen aus vorigen Stufen, etwa des Beziehungsaufbaus genutzt werden. In diesem Zusammenhang hilft auch, wenn dem Bürger die Möglichkeit gegeben wird, sich selbst zu erklären und seine Position darzulegen. Ebenso wichtig ist, es, für den Bürger verständlich zu reden, ihn sprachlich nicht zu überfordern und keine polizeiliche Fachsprache zu benutzen.
Stufe „Lösungssuche“
Nachdem auf der Stufe zuvor die wesentlichen Informationen erhoben worden sind und vorliegen, kann hier gemeinsam mit dem polizeilichen Gegenüber versucht werden, den weiteren Verlauf des Einsatzes zu gestalten. Liegen für die Polizeibeamten ein Handlungszwang und keinerlei Spielraum vor, so kann hier wenigstens die Umsetzung zusammen mit dem Bürger erarbeitet werden. Ist das polizeiliche Handeln nicht zwingend an eine Maßnahme gebunden, kann aber auch gemeinsam mit dem Gegenüber diskutiert werden, was zu tun ist. Durch die Beteiligung des Gegenübers kann die Akzeptanz für die Maßnahme erhöht werden, Widerstand wird unwahrscheinlicher und die Zusammenarbeit wirkt deeskalierend. Auch können durch das gemeinsame Suchen nach Umsetzungswegen mögliche Hindernisse und Probleme bereits erkannt werden, bevor sie auftreten, und so Überraschungen vermieden werden. Daneben ist es auch wichtig, die polizeilichen Maßnahmen anzukündigen, zu erklären und zu begründen. Diese Transparenz für polizeiliches Handeln ist zentral für die Deeskalation.
Stufe „Lösungsumsetzung“
In dieser Stufe geht es letztendlich darum, die beschlossenen polizeilichen Maßnahmen umzusetzen. Um auch während der Umsetzung der Konfliktlösung bzw. der polizeilichen Maßnahmen deeskalierend zu handeln, sollte weiterhin für Transparenz über die polizeilichen Handlungen gesorgt werden (vgl. die sogenannte einsatzbegleitende Kommunikation). So können Umsetzungsschritte erwähnt oder angekündigt werden.
Impressum: Internetseite von Prof. Dr. Clemens Lorei • c/o Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit • Talstraße 3 • 35394 Gießen
Info(at)kodiak-revier(dot)de